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Umbenennung von Straßen aufgrund einer historischen Belastung der namensgebenden Persönlichkeiten

Liebe Piratinnen und Piraten, liebe Besucherinnen und Besucher dieser Webseite,

Ich möchte mich mit dem folgenden Beitrag zu einem Thema äußern, das in der letzten Zeit insbesondere auch in der Piratenpartei intensiv diskutiert wurde: der Umbenennung von Straßen aufgrund einer historischen Belastung der namensgebenden Persönlichkeiten. Dabei möchte ich zunächst die Sachlage in Hannover beschreiben und anschließend meine Sichtweise darlegen.

Der Rat der Stadt Hannover beschloss im Dezember 2013 das Projekt „Wissenschaftliche Betrachtung von namensgebenden Persönlichkeiten“, also eine Untersuchung der Biographien von Männern und Frauen, die durch einen Straßennamen oder andere Ehrungen in Hannover hervorgehoben worden sind. Dabei wurde insbesondere deren Wirken zwischen 1933 und 1945 durch einen Beirat betrachtet. Dieser Beirat setzte sich aus Historikern sowie Kirchen- und Gewerkschaftsvertretern zusammen. Richtschnur für seine Arbeit war ein Ratsbeschluss für die Kriterien zur Umbenennung von Straßen aus dem Jahr 2009, in dem es unter anderem heißt: „Umbenennungen sollen nur erfolgen […] wenn eine Benennung einer Persönlichkeit im Nachhinein Bedenken auslöst, weil diese Person Ziele und Wertvorstellungen verkörpert, die im Widerspruch zu den Grundsätzen der Verfassung, der Menschenrechte bzw. einzelner für die Gesamtrechtsordnung wesentlicher Gesetze steht. Zusätzlich zu diesen Bedenken […] müssen der durch die Benennung geehrten Person schwerwiegende persönliche Handlungen […] oder die aktive Mitwirkung in einem Unrechtssystem zuzuschreiben sein.“

Nach diesen Kriterien wurden bisher 463 von 497 straßennamensgebenden Persönlichkeiten untersucht. Als Ergebnis wurden zehn Umbenennungsempfehlungen ausgesprochen. Das Umbenennungsverfahren muss durch den Stadtbezirksrat oder (bei Zugehörigkeit einer Straße zu mehreren Bezirken) durch den Stadtrat eingeleitet werden. Das bedeutet, dass im zuständigen Rat eine Mehrheit gefunden werden muss.

Leicht hat man es bei der Überprüfung mit der großen Zahl unbelasteter Namensgeber wie z.B. Widerstandskämpfern, Oppositionellen, nicht in den Nationalsozialismus verwickelten Künstlern und nichtdeutschen Staatsbürgern. Genau so einfach ist der Umgang mit Namensgebern, die ganz offensichtlich zu den Kriegsverbrechern gehörten. So wurden die vielen nach Adolf Hitler benannten Straßen, Plätze und Schulen entweder direkt nach dem Krieg durch die Alliierten umbenannt oder die Umbenennung erfolgte spätestens Ende der 40er Jahre per Ratsbeschluss.

Zwischen diesen beiden Gruppen gibt es jedoch eine nicht unerhebliche Grauzone, also Namen, bei denen es diskussionswürdig ist, ob sie nach heutigen Maßstäben für die Benennung u.a. von Straßen geeignet sind. Wie geht man zum Beispiel korrekt mit dem Namen Bismarck um? Neben seinen Verdiensten wie der Einigung Deutschlands oder der Einführung der Sozialversicherungen gilt seine Politik teilweise als Wegbereiter des Nationalsozialismus. Was ist mit General Moltke, der 1870 in der Schlacht bei Sedan die französische Armee besiegte? Es gibt in fast jeder deutschen Stadt eine Moltkestraße und eine Sedanstraße. Eine Orientierung an solch militaristischen Merkmalen erscheint in der heutigen Zeit zumindest anachronistisch.

Zur näheren Betrachtung dieser großen Anzahl an diskussionswürdigen Namensgebern möchte ich mir einen Namen herausgreifen, der immer wieder für kontroverse Debatten sorgt: Paul von Hindenburg. Nach seiner Teilnahme am ersten Weltkrieg als General wurde er 1925 mit Unterstützung der SPD Reichspräsident in der Weimarer Republik. Nachdem in den frühen 1930er Jahren mehrere seiner Präsidialkabinette gescheitert waren, machte er 1933 Hitler zum Reichskanzler und trug dessen Politik bis zu seinem Tod im Jahr 1935 in wesentlichen Punkten mit.

Die HAZ schrieb in einem Artikel vom 10.11.2015, dass sich eine Bürgerinitiative zur Beibehaltung des Namens Hindenburgstraße gebildet hat. Doch auch in anderen Städten sorgt der Name Hindenburg für Debatten. In Nienburg gründete sich 2004 eine Initiative zur Umbenennung des Gymnasiums Hindenburgschule. Nachdem zwei Jahre in persönlichen Debatten, aber auch im Internet und der örtlichen Zeitung Die Harke erbittert gestritten wurde, erfolgte im Jahre 2006 die Umbenennung der Schule in Marion-Dönhoff-Gymnasium. Die Argumente in den verschiedenen Hindenburg- Debatten gleichen sich: auf Seiten der Namensgegner stehen die unbestrittene Rolle bei der Etablierung des Nationalsozialismus und seine schwierige Rolle als Antidemokrat und als General im Ersten Weltkrieg. Diejenigen Initiativen, die für eine Beibehaltung des Namens plädieren, führen an, dass Hindenburg nun einmal eine Rolle in der deutschen Geschichte gespielt habe, zu seiner Zeit äußerst angesehen war und zeitweilig sogar von der SPD unterstützt wurde und dass man allgemein damalige Maßstäbe anlegen müsse. Neben einer teilweisen Verherrlichung seiner Person werden aber auch Argumente angeführt, die nicht unmittelbar etwas mit dem Namensgeber zu tun haben: einmal angefangen, müsste man hunderte Straßen umbenennen; die Anwohner haben eine persönliche Verbindung zu dem Namen aufgebaut; die Suche nach einem neuen Namen sei immer schwierig. Auch wirtschaftliche Gründe werden genannt: die Stadtverwaltung solle ihre Ressourcen für Wichtigeres einsetzen; eine Umbenennung sei mit erheblichen Kosten verbunden (Änderung von Karten und Einträgen). Das knappe Abstimmungsergebnis im Nienburger Stadtrat bei der Umbenennung der Hindenburgschule (19 zu 16 Stimmen bei einer Enthaltung) zeigt, dass beide Seiten gewichtige Argumente anbringen konnten.

Die Entscheidung, ob eine Straße oder ein öffentliches Gebäude umbenannt werden, müssen letztlich die Akteure vor Ort entscheiden. Dies kann im Stadtrat geschehen, oder auch direkt durch die betroffenen AnwohnerInnen, wie es in Hannover der CDU- Politiker Toepffer laut HAZ– Artikel vom 27.10.2015 vorgeschlagen hat.

Die vielen Umbenennungsdebatten haben jedoch noch eine Bedeutung, die über den bloßen Einzelfall hinausgeht: sie regen zur politischen Diskussion an, zur Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit oder mit gesellschaftlichen Missständen. Die große Zahl an Internetkommentaren und Leserbriefen und die teilweise hitzig geführte Diskussion zeigen, dass das Thema „Straßennamen“ ein gewaltiges Mobilisierungspotential hat. Es beteiligen sich auch Menschen an der gesellschaftlichen Diskussion, die sonst eher wenig Interesse für Politik aufbringen. Dieses Mobilisierungspotential lässt sich auch für ganz andere Themen nutzen: Bereits 1995 beklebte eine Nienburger Frauengruppe um die damalige städtische Gleichstellungsbeauftragte im Rahmen des Internationalen Frauentages Straßenschilder, die den Namen eines Mannes tragen, symbolisch mit einem Frauennamen. Hintergrund der Aktion war, dass in Nienburg ca. 100 Straßennamen an Männer erinnerten, nur neun dagegen an Frauen.

Und so möchte ich schließlich auf den Anlass dieses Artikels zu sprechen kommen: Der Antrag des Piraten Dr. Junghänel im Bezirksrat Mitte, den Ernst-August-Platz umzubenennen. Das Für und Wider wurde in der HAZ vom 03.11.2015, ausführlich dargelegt; letztlich müssen wiederum die beteiligten Stadträte oder die BürgerInnen selbst entscheiden. Wichtig ist, überhaupt zu diskutieren, sich mit der Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen. Dabei ist es egal, auf welcher Seite man steht, solange man sich als Demokrat an einer gesellschaftlichen Diskussion beteiligt. Wenn dies geschieht, hat Herr Junghänel mit seinem Antrag viel erreicht. /Sebano

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